Wohnungskrise: Und der Markt soll es richten?

Articles de presse

7. Juni 2022

In der Wort-Ausgabe vom Dienstag, den 24. Mai 2022 durfte Romain Scheuren wiederholt für sein ihm eigenes Modell des Mietkaufs (Location-Vente) werben. Als Politikerin schätze ich es, wenn Akteure aus Gesellschaft und Wirtschaft sich einbringen, denn nur im demokratischen Wettbewerb der Ideen lassen sich Lösungen für die Wohnungskrise finden. Und wir brauchen dringend nachhaltige Lösungen um jedem den Zugang zu Wohnraum zu garantieren. Sonst wird die soziale Spaltung immer weiter zunehmen.

Die bisherige Wohnungspolitik hat sich stark auf die Marktkräfte verlassen und ein kurzsichtiges Modell des Zugangs zum Wohneigentum gefördert. Diese Form des sozialen Wohnungsbaus führte in der Vergangenheit dazu, dass Wohnungen zwar einmal günstig erworben aber nach 10 Jahren wieder auf dem privaten Markt verkauft werden konnten. Die Folgen dieser Politik spüren wir heute. Einerseits durften diese wenigen Erstbesitzer.innen einen großen Mehrwert einstreichen und andererseits ging der in öffentlicher Hand errichtete soziale Wohnraum verloren. Auch wurde verpasst, den öffentlichen Wohnungsbau mit den nötigen Mitteln und Instrumenten auszustatten, wodurch Luxemburg über einen lächerlich geringen Anteil an öffentlichen bezahlbaren Mietwohnungen verfügt. Die Vorschläge von Herrn Scheuren, schaffen hier keine Abhilfe.

Um den Bedarf an 2.500 Wohneinheiten pro Jahr zu decken, müssen andere Lösungen gefunden werden, um mehr Wohnungen zu bauen und gleichzeitig den Leerstand zu mobilisieren. Leider gehen Herrn Scheurens Vorschläge genau in die entgegengesetzte Richtung und zielen mehr auf ein Fördermodell zugunsten privater Bauherren ab, als dass sie eine nachhaltige Antwort auf die Wohnungsnot darstellen.

Zu den Fakten: Die vom grünen Wohnungsbauminister Henri Kox in die Wege geleitete große Reform der staatlichen Wohnungsbeihilfen enthält wichtige Verbesserungen am bestehenden System der Hilfen für angehende Besitzer.innen. Dazu gehört vor allem, dass die minimale Verweildauer bei der Vergabe von Bauprämien von 10 auf 2 Jahre reduziert wird. In Zukunft müssen Familien die Hilfen also nicht mehr zurückzahlen, wenn sie wegen Trennung, Umzug oder Nachwuchs in eine andere Wohnung umziehen. Dies stellt eine wesentliche Erleichterung dar, denn derzeit verbleiben nicht einmal die Hälfte der Prämienbezieher.innen über zehn Jahre in der bezuschussten Wohnung.

Herrn Scheurens Modell setzt hingegen genau dort an, wo andere die gefährlichen Fehlentwicklungen bereits erkannt haben und längst gegensteuern. Sein Modell des Mietkaufs zwingt die angehenden Eigentümer.innen nämlich maßgeblich dazu, zuerst 10 Jahre lang zur Miete zu wohnen, bevor sie die Wohnung kaufen dürfen. Die Hälfte der Bewohner.innen zieht aber erwiesenermaßen schon vorher aus und hat so nicht einmal die Möglichkeit, überhaupt Eigentümer zu werden. Damit geht auch die gezahlte Miete verloren – am Ende bleibt den Mieter.innen nichts.

Ein äußerst sinnvolles Modell ist dem gegenüber das Erbpachtrecht, wie es in Luxemburg seit Jahren im öffentlichen Wohnungsbau umgesetzt wird und das im Übrigen auch die Grundlage des „Wiener Modells“ oder des erfolgreichen französischen „Bail réel solidaire“ darstellt. Hier pachtet der Eigentümer der Wohnung das Grundstück, auf dem diese steht, und finanziert nur die Wände und das Dach.

Warum ist dieser Unterschied so wichtig? Zum einen verfügen die Besitzer.innen der Wohnung von Anbeginn des Vertrages vollständig über die Wohnung und können diese nach eigenem Belieben gestalten. Auch zahlen sie keine Miete, sondern Tilgungsraten für einen Kredit. Beim Erbbaurecht sind sie also Eigentümer.innen  von Anfang an.

Zum anderen sparen die Wohnungsbesitzer.innen bei diesem Modell genau das Geld ein, das sie für die überteuerten Grundstücke mobilisieren müssten. Die Preissteigerung der Wohnungen in Luxemburg stammt ja nur zum kleinen Teil aus der Erhöhung der Baukosten. Der größte Teil der Preissteigerungen ist auf die Bodenspekulation zurückzuführen, also auf die Verteuerung des Baulandes. Genau diese wird beim Erbpachtrecht neutralisiert. Damit bleiben die Wohnungen über Jahrzehnte erschwinglich und gewähren den Käufer.innen einen großen Preisvorteil: Letztere sparen bis zu 30% im Vergleich zu den Wohnungen auf dem freien Markt, da der Staat den größten Teil des Bodenwertes trägt.

Damit dieser Vorteil auch den Käufer.innen der zweiten und dritten Generation zugutekommt, wurde vor einigen Jahren das Rückkaufrecht für die öffentlichen Wohnungsbaugesellschaften und die Gemeinden eingeführt. Statt die Spekulationsgewinne auf Grund und Boden zu privatisieren, bleiben die Flächen in öffentlicher Hand. Demzufolge können auch die zukünftigen Käufer.innen der Wohnungen davon profitieren. Da die Eigentümer.innen der Wohnung den Grund und Boden nie besaßen, kann ihnen auch kein Spekulationsgewinn ausgezahlt werden.

Um der Wohnungskrise entgegenzuwirken, müssen wir massiv in den öffentlichen, nachhaltigen und bezahlbaren Wohnungsbau investieren. Besonders groß ist der Bedarf an bezahlbaren Mietwohnungen. Die Zahlen des letzten Berichts des neu geschaffenen Spezialfonds für den öffentlichen Wohnungsbau verdeutlichen den vollzogenen Strategiewechsel: Das staatliche Investitionsbudget für das Jahr 2021 betrug 170 Millionen Euro, für 2022 sind Investitionen in Höhe von 230 Millionen geplant. Zum Vergleich: Im Jahr 2014 lagen die Investitionen bei nur 38 Millionen Euro.

Neben den großen öffentlichen Wohnungsbauprojekten wie Nei Schmelz, Wunne mat der Woolz oder Elmen sorgen wir mit dem neuen Wohnungsbaupakt dafür, dass in Zukunft bei jedem Neubauprojekt auch bezahlbarer Wohnraum geschaffen wird. Im Gegenzug dürfen die privaten Entwickler.innen 10% dichter bauen. Es ist auch wichtig zu präzisieren, dass für alle Wohnprojekte, die unter den „plan sectoriel logement“ fallen, mindestens 30 % bezahlbaren Wohnraum vorgesehen sind.  Bei der Landesplanung müssen wir dafür sorgen, dass für jedes neue Wohngebiet, das in einen allgemeinen Bebauungsplan (PAG) eingebracht wird, durch den Baulandvertrag eine Entwicklungs- und Bebauungspflicht innerhalb einer definierten Frist besteht. So vermeiden wir Spekulationen und die Baulücken von morgen.

Neben der Umsetzung des Wohnungsbaupakt brauchen wir jetzt dringend eine Reform der Grundsteuer. Nur so können wir ungenutztes Brachland und den Leerstand mobilisieren. Darüber hinaus werden wir die Rechte der Mieter stärken. Mit der grünen Wohnungsbaupolitik schaffen wir endlich bezahlbaren Wohnraum, der auch nachhaltig in öffentlicher Hand bleibt anstatt an den Markt verloren zu gehen.

Semiray Ahemdova

Abgeordnete,
Präsidentin des parlamentarischen Ausschusses für Wohnungsbau,
Gemeinderätin in Düdelingen

 

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