Eine gescheiterte Technologie

Article de presse

20. November 2021

Was es mit den Bemühungen um ein Comeback der Mini-Atomreaktoren auf sich hat

Von Carlo Back und Meris Sehovic*/**

Die Atomindustrie hat eine unverwechselbare Eigenschaft: Sie rennt schon seit Jahrzehnten mit demselben Kopf gegen dieselbe Wand – nach jedem Scheitern setzt sie flugs wieder zu einem neuen Anlauf an.

Präsident Macron läuft gerade wieder los. Vor den Präsidentschaftswahlen will er eine bankrotte Atomindustrie in das Zeitalter der Ressourcenknappheit und des Klimaschutzes retten. 6 neue-(alte) EPR-Atom-Reaktoren sollen her. Doch nur ein einziger davon ist im Bau – entwickelt seit 1989 – und dieser kostet laut französischem Rechnungshof über 19 Milliarden Euro! Die staatlichen Rechnungsprüfer sprechen von einem „échec opérationel“.

Die französische Atomindustrie ist so gut wie bankrott und wird nur durch gewaltige Steuergeldspritzen des Staates am Leben gehalten. Deshalb wird jetzt zudem eine 70-jährige Idee wieder aufgemöbelt: „Small Modular Reactors“ (SMR), die auf Entwicklungen der 50er Jahre für den Antrieb von Militär-U-Booten zurückgehen, sollen jetzt als brandneue Innovation verkauft werden, als Wunderlösung für die Klimakrise.

Trotz all der offensichtlichen Schwächen herrscht bei Präsident Macron Aufbruchsstimmung. Frankreich stehe mit den Mini-Reaktoren vor „bahnbrechenden Innovationen“ im Atomsektor. Angesichts der dramatischen finanziellen, technischen und politischen Abhängigkeit, in der sich die französische Regierung von der Atomindustrie manövriert hat, greift man eben gerne nach dem letzten Strohhalm.

Kleine Reaktoren mit großen Konsequenzen

Small Modular Reactors sind Mini-Reaktoren, die einen Bruchteil (1 bis 300 Megawatt) der elektrischen Leistung eines klassischen Atomreaktors (900 bis 1.700 MW) produzieren. SMR-Konzepte funktionieren aber, wie die meisten der zündenden Ideen der Atomindustrie, nur auf dem Reißbrett.

Bestenfalls schleppen wir uns damit noch Jahrzehnte durch Demonstrationsprojekte, ohne aber nennenswerte Fortschritte bei den Hauptproblemfeldern der Atomkraft zu erzielen. Mini-Reaktor bedeutet nämlich nicht Mini-Müll oder Mini-Gefahr, ja nicht einmal Mini-Kosten.

So viel Zeit haben wir beim Kampf gegen die Klimakrise nicht und auch die Stromkosten sind nicht konkurrenzfähig mit den erneuerbaren Energien. Zudem bleibt der Uranabbau für die Herstellung der Brennelemente eine Umweltkatastrophe und für die Abfallproblematik oder die Gefahr der Proliferation des Spaltmaterials wurde noch keine tragfähige Lösung gefunden.

Der neue Exportschlager der französischen Atomindustrie wird somit zum Export von Unsicherheit in weite Teile einer bereits destabilisierten Welt führen.

Werbung ohne Warnhinweis zu Risiken und Nebenwirkungen

Die Bilanz der Atomindustrie ist miserabel – doch ihre Versprechen verfangen in letzter Zeit wieder stärker – bis nach Luxemburg. Die größte Oppositionspartei gesellt sich dabei zur ADR, wenn sie neuerdings von einem strikten Anti-Atom-Kurs abweicht. Selbsternannte Energieexperten und sogar ein früherer LSAP-Minister schreiben nahezu wöchentlich Werbebeiträge für Atom.

Atomenergie wird zur Wunderlösung gegen Klimakrise und Energieknappheit stilisiert. Dabei ist die Argumentation scheinheilig, wenn einerseits zum Kampf gegen lokale Projekte erneuerbarer Energien aufgerufen und andererseits nur sehr allgemein auf die Vorzüge von Atomkraft hingewiesen wird. Die konkreten Konsequenzen dieser Technologie vor der eigenen Haustür werden verschwiegen.

Unsere Sicherheit gerät in Gefahr, wenn Groß- oder Kleinreaktoren und nukleare Endlager in unmittelbarer Umgebung entstehen. Die Welt wird insgesamt unsicherer, wenn multiple Kleinstreaktoren in unsichere Weltregionen exportiert werden, und Spaltmaterial leichter in die falschen Hände gerät. Letztlich wird auch der Kampf gegen den Klimawandel deutlich schwieriger, wenn man Milliarden in Technologien versenkt, die nie oder nur viel zu spät wirken.

Prioritäten richtig setzen

Stattdessen sollten wir unsere Investitionen dort einsetzen, wo schon heute schon greifbare Resultate, wirtschaftliche Gewinne und gesellschaftlicher Mehrwert erzielt werden.

Im vergangenen Jahr sind weltweit über 250 Gigawatt (GW) Erneuerbare ans Netz gegangen und netto nur 0,4 GW nukleare Kapazität hinzugekommen. Wegen den enormen wirtschaftlichen und technologischen Fortschritten haben die Erneuerbaren Energien die Atomkraft bei der Stromproduktion längst überholt. Sie dominieren den Markt gegenüber Atom, weil sie wesentlich sicherer, schneller und billiger einsetzbar sind und vor allem heute schon wesentlich zu unserer Klima-Aktion beitragen. Bei Atom soll das „hoffentlich“ und „irgendwann“ in den nächsten Jahrzehnten damit zu rechnen sein.

Ja, bleiben wir offen für technologischen Fortschritt. Aber unsere Energiepolitik ist nur dann zukunftsfähig, wenn sie sich kritischen Argumenten stellt und wirtschaftlich Sinn macht. Wenn sie die reellen Risiken offenlegt und konsequent angeht. Wenn sie den Schutz des Menschen und das Allgemeinwohl in den Mittelpunkt stellt, anstatt das Machtkalkül von unkontrollierbaren Konzernen.

Die Erneuerbaren Energien und ihr Zukunftspotenzial erfüllen diese Kriterien. Die falschen Versprechen der Atomindustrie definitiv nicht.

 

*Carlo Back ist Nuklearphysiker und Abgeordneter von déi gréng. Meris Sehovic ist Parteipräsident von déi gréng.

**Veröffentlicht im Luxemburger Wort vom 20. November 2021

 

All d'Aktualitéit

Gitt Member

Schreift Iech an

Ënnerstëtzt eis

Maacht en don