Kralowetz Dossier

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20. Mai 2011

Der Fall Kralowetz betrifft zuerst einmal das persönliche Schicksal vieler, meist osteuropäischer Fernfahrer und ihrer Familien, er ist ein Paradebeispiel für das soziale Dumping, das imTransportgewerbe herrscht und für die unlauteren Wettbewerbsbedingungen zwischen Strasse und Schiene.

Luxemburg, den 22 Februar 2002


Der Fall Kralowetz hat Luxemburg einen grossen politischen und moralischen Schaden zugefügt: Er betrifft zuerst einmal das persönliche Schicksal vieler, meist osteuropäischer Fernfahrer und ihrer Familien, er ist ein Paradebeispiel für das soziale Dumping, das imTransportgewerbe herrscht und für die unlauteren Wettbewerbsbedingungen zwischen Strasse und Schiene. Nicht zuletzt macht er auch sehr deutlich, welche Sicherheitsrisiken durch unsoziale Beschäftigungsverhältnisse auf den europäischen Strassen geschaffen werden.


Die nationale Ebene: Die kollektive politische Verantwortung aller Regierungen seit den 80er Jahren


1) 80er und 90er Jahre


Die verfehlte Standortpolitik: Die Transport- und Wirtschaftsminister machten Luxemburg zur dreckigen Nische


Luxemburg muss endlich Abschied nehmen von seiner Politik, sich als „dreckige Nische“ in der EU zu vermarkten und über diesen Weg Unternehmen anzuziehen, die steuerlich nur kurzfristig Mehreinkommen verschaffen, ohne allerdings soziale Arbeitsverhältnisse zu schaffen und Aktivitäten zu entwickeln, die der Entwicklung der Luxemburger Wirtschaft dienen. Es ist grundlegend zu verurteilen, dass die Wirtschafts- und Transportminister der vergangenen Regierungen seit dem Ende der 80er Jahre, diese Standortpolitik auf der Suche nach kurzfristigen und kurzsichtigen politischen Erfolgen betrieben. Es ist umso unbegreiflicher, dass sozialistische Politiker verantwortlich für diese Politik sind. Der politische Schaden, der Luxemburg durch diese verfehlte Standortpolitik erlitt, ist nur schwer wieder gutzumachen. Er ist eindeutig der Verantwortungslosigkeit der Transport- und Wirtschaftsminister der drei früheren Regierungen zuzuschreiben.


2) Vorige CSV/LSAP-Regierung


Ein dilettantisches Kontrollsystem: Der Premier und Arbeitsminister versagte


Die Luxemburger Regierung hat massiv Transportunternehmen angezogen, ohne Kontrollstrukturen zu schaffen, die wirksam und ausreichend überprüfen können, ob diese Unternehmen die arbeitsrechtlichen Normen erfüllen. Wie ein Briefwechsel des damaligen Arbeitsministers Juncker klar macht, waren diese Kontrollmängel spätestens zu Beginn der 90er Jahre offensichtlich. Es ist völlig unverständlich, dass trotz der vielfältigen Hinweise, die sich in mehreren Verwaltungen und Ministerien in bezug auf die Gesetzesverstösse der Transportunternehmen anhäuften, keine strengeren Regeln verfügt wurden. Die grandiose Apathie, die die beiden vorigen Regierungen an den Tag legten, sind ein Armutszeugnis auch für Jean-Claude Juncker, der als Arbeitsminister und als Regierungschef für die soziale Misere in diesem Sektor mitverantwortlich gemacht werden muss. Als Arbeitsminister fand es Juncker trotz der eindeutigen Defizite, nicht für notwendig, die gesetzlichen Grundlagen zu schaffen, um das Transportgewerbe in Luxemburg strengen sozialen Regelungen zu unterwerfen. Dieser Umstand krazt erheblich an der Glaubwürdigkeit eines Ministers, der auf europäischer Bühne gerne als engagierter Vertreter des Sozialstaats auftritt.


3) Derzeitige CSV/DP-Regierung


Der politische Wille zu einer durchgreifenden Reform fehlte: Der Transportminister reformierte zu zaghaft und isoliert, der Mittelstandsminister verschläft die Reform des Niederlassungsrechts, eine Zusammenarbeit mit den anderen verantwortlichen Ministerien fehlt


Der derzeitigen Regierung waren die sozialrechtlichen Mängel, die im Transportgewerbe herrschen, durchaus bekannt. Trotzdem blieben die Reformen im Ansatz stecken: Eine zu Beginn der Legislaturperiode einberufene Arbeitsgruppe wurde eingemottet; die Regierung gab sich immer noch keine interministeriell vernetzten, kompetenten Kontrollstrukturen im Bereich des Transportgewerbes; arbeitsrechtlich verdächtige Transportunternehmen wurden nicht wirksamer kontrolliert, sondern allenfalls durch die Drosselung der Lizenzvergabe etwas in ihren Aktivitäten ausgebremst. Gesetzliche Reformen fanden bisher nicht statt. Die Vergabekriterien der CEMT-Lizenzen, die Luxemburg eigenmächtig festsetzen kann, wurden nicht verschärft. Eine Reform des Niederlassungsrechts wurde unter dem lächerlichen Vorwand blockiert, der Staatsrat habe Opposition gegen das Gesetzesvorhaben eingelegt. Wegen dieser Apathie wurde Luxemburg sogar vor dem EuGH wegen der Nichtumsetzung der europäischen Niederlassungsdirektive im Transportbereich verklagt.


Forderungen


1) Die parlamentarische Transportkommission soll ihre Reformarbeit weiterführen


Die administrativen und gesetzlichen Defizite, die eine Kralowetz-Affäre möglich machten, liegen auf der Hand. Die Transportkommission des Parlaments muss auf dieser Basis und in engem Dialog mit Ministerien und Verwaltungen ihre wertvolle Reformarbeit weiterführen. Sie soll der Regierung und dem Parlament so rasch wie möglich einen Reformkatalog mit den wichtigsten Gesetzesänderungen vorlegen, die nötig sind, um den Standort Luxemburg zu einem volkswirtschaftlich, sozial- und arbeitsrechtlich vertretbaren Standort im Transportgewerbe werden zu lassen. In diesem Rahmen soll der Transportminister dem Parlament auch das Audit vorlegen, dass er im Bereich des Transportministeriums in Auftrag gegeben hat.


Derzeit erscheinen folgende Reformen prioritär:



  • die Vergabekriterien der Transportlizenzen müssen verschärft und klar gefasst werden: nur Transportunternehmen, die ihren Sitz in Luxemburg haben, deren Arbeitnehmer in Luxemburg angemeldet sind und deren Arbeitsvertrag dem Kollektivvertragsregelungen des Luxemburger Transportsektors entsprechen, dürfen CEMT-Lizenzen erhalten.

  • das Niederlassungsrecht muss schnellstmöglicht so überarbeitet werden, dass es die Niederlassungskriterien für Unternehmen verschärft und Betriebe, die keinen direkten wirtschaftlichen Bezug zu Luxemburg haben, ausschliesst

  • die Verwaltungen und Ministerien müssen durch gesetzliche Änderungen in ihren Vollmachten und eine gezielte Personalaufstockung wirksamer kontrollieren können; ob Transportunternehmen die Sozialnormen erfüllen; eine Koordiniationszelle zwischen dem Sozial-, Arbeits-, Transport-, Finanz- und Mittelstandsministerium ist nötig, um schwarze Schaafe im Transportgewerbe schnell und wirksam aussondern zu können; ein Register der „schwarzen Schaafe“ im Transportgewerbe muss angelegt werden, in das alle Meldungen über gesetzlichen Vergehen von Unternehmen aus dem Transportgewerbe einfliessen.


2) Eine Spezialkommission soll die politische Verantwortung klären


Die Kralowetz-Affäre ist nicht nur auf lasche Gesetze und Regelungen zurückzuführen. Sie steht auch in direktem Zusammenhang mit klaren Versäumnissen der Ministerien und Verwaltungen im Bereich des Transportgewerbes. Nur eine eigenständige parlamentarische Spezialkommission kann die Aufgabe erfüllen, diese Versäumnisse, die die elementare staatliche Aufsichtspflicht, die Funktionsweise des Staates und damit das Vertrauen in den Staat betreffen, voll und transparent aufdecken. Diese Kommission muss insbesondere das System der Vergabe der CEMT-Lizenzen, das über Jahre hinweg unter äusserst zwielichtigen Bedingungen in Luxemburg existierte, genauer untersuchen.


Die europäische Ebene: Wenig Harmonisierung im Sozialbereich, grosser nationaler Spielraum


1) Keine Ableknkungsmanöver, nationale Verantwortung übernehmen



  • EU-Niederlassungsdirektive im Transportgewerbe so schnell wie möglich über den Staatsrat hinweg umsetzen

  • EU-und CEMT-Lizenzen an strenge arbeitsrechtliche Kriterien binden, die Mitgliedstaaten legen die Vergabekriterien fest


2) Harmonisierung strenger sozialer Regelungen auf EU-Ebene beschleunigen


Europäische Sozialgesetzgebung hinkt hinterher: Liberalisierung fand in den 90er Jahren massiv im Transport statt, ohne dass gleichzeitig wirksame soziale Rahmenbedingungen geschaffen wurden


Kurzfristige Handlungsmöglichkeiten auf Ebene des EP:



  • Einheitliche euopäische Fahrercard: So schnell wie möglich einführen, um Einhaltung der Sozialnormen zu überprüfen, Brief an spanische EU-Ratspräsidentschaft, um zu garantieren, dass Fahrercard möglicherweise bereits vor Ende 2003 in Kraft tritt, EP-Resolution vom 6. Februar 2002 auf Initiative von Claude Turmes fordert Rat und Kommission zum raschen Handeln auf

  • Fahr- und Ruhezeitenregelung: Einbeziehung der Selbständigen nicht erst wie geplant 2009, wie vom EP durchgesetzt, sondern wenn möglich früher

  • Digitaler Fahrtenschreiber: Strenge Kontrollen ab der definitiven Einführung Ende 2002
     

Mittelfristige Handlungsmöglichkeiten:



  • EU-Verordnung zu Sozialvorschriften für Fernfahrer: Soll Einführung des digitalen Fahrtschreibers Rechnung tragen, Sozialnormen harmionisieren und Kontrollen harmonisieren, auf strenge Normen drängen, die auch für Selbständige gelten

  • UNO-Konvention im Bereich der Rechte der aussereuropäischen Arbeitnehmer: Soll möglichst rasch von EU angenommen werden
     

Auf grüner Ebene:



  • Treffen mit belgischer grüner Transportministerin, die im Juni 2002 die CEMT-Präsidentschaft übernehmen wird, um eine Reform der CEMT-Lizenzvergaben anzustossen

  • Reise von DEI GRENG nach Wien, auf Einladung von den österreichischen Grünen, um Möglichkeiten der Zusammenarbeit in diesem Bereich auszuschöpfen

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