Das neue Gesetz zum Schutz des kulturellen Erbes: Paradigmenwechsel beim Patrimoine culturel

Article de presse

7. Februar 2022

Schätzungen zufolge werden in Luxemburg alljährlich rund 100 national schützenswerte Bauwerke zerstört. Unter anderem auf dieser alarmierenden Feststellung fußte die Petition Nr 1638 zum Erhalt des historischen Bauerbes, die im Herbst 2020 im Parlament debattiert wurde. Das zivilgesellschaftliche Engagement, das der Petition zum Erfolg verhalf, zeigt sich landesweit auch in einer ganzen Reihe von Vereinigungen sowie in den sozialen Medien, in denen sich mehrere Tausend Bürger:innen für den Schutz der Spuren unserer gemeinsamen Vergangenheit einsetzen. Dabei sind es nicht nur die „Eingeborenen“, die das Kulturerbe bewahren wollen – die genannten Initiativen werden gleichermaßen von Zugezogenen und Einheimischen organisiert und unterstützt. Hier zeigt sich: der Schutz der Spuren unserer gemeinsamen Vergangenheit geht eng einher mit dem sozialen Zusammenhalt und der nachhaltigen Entwicklung unseres Landes im Hier und Jetzt.

Auch wenn der prinzipielle Wunsch zum Erhalt des kulturellen Erbes politisch und gesellschaftlich auf breite Zustimmung stöβt, so bröckelt dieser Konsens gemeinhin dann, wenn es um die konkrete Umsetzung mittels der nötigen Prozeduren geht. Konfliktfelder ergeben sich hier aus der nötigen Abwägung von entgegengesetzten Schutzinteressen. Auf der einen Seite steht der gesellschaftlich wünschenswerte Schutz des kulturellen Erbes als sicht- und erfahrbares Überbleibsel unserer gemeinsamen Vergangenheit. Ihm gegenüber steht der ebenso bewahrenswerte Schutz privater Eigentumsrechte.  Die von Kulturministerin Sam Tanson 2019 auf den Weg gebrachte Reform, die voraussichtlich kommende Woche im Parlament zur Abstimmung kommt, stellt in dieser Hinsicht keinen Minimalkonsens dar, sondern eine ambitionierte Modernisierung des gesetzlichen Rahmens.

Statt wie in der Vergangenheit mit dem Konzept des Denkmalschutzes vorrangig das bauliche Erbe zu berücksichtigen, definiert der Text  das kulturelle Erbe breiter. Er unterteilt es in vier Kategorien, um deren unterschiedlichen Charakteristiken Rechnung zu tragen:

  1. Archäologisches Kulturerbe:

Das neue Gesetz verankert erstmals das Prinzip der Präventivarcheologie in geltendem Recht. So können bei Bauvorhaben bereits vor Beginn der Erdarbeiten aufgrund wissenschaftlicher Kriterien Probegrabungen oder Bodensondierungen durchgeführt werden. Die systematische Zusammenführung der gewonnenen Erkenntnisse erlaubt es, nach und nach das archäologische Potential des Untergrunds landesweit zu inventarisieren. Zufallsfunde und die teuren Baustopps, die sich daraus heute häufig ergeben, sollen so zur Ausnahme werden.

  1. Architekturales Kulturerbe:

Auch beim architekturalen Erbe wird mit dem neuen Text ein einheitliches Register eingeführt, in dem die national schützenswerte Bausubstanz Gemeinde für Gemeinde wissenschaftlich erfasst und anschließend unter Schutz gestellt wird. So wird das heutige, duale System von „Monuments nationaux“ und Zusatzinventar abgeschafft. Bis das neue System vollständig zur Anwendung kommen kann, soll ein ebenfalls im Text vorgesehenes „Sicherheitsnetz“ die weitere Zerstörung historischer Bausubstanz verhindern.

Auch hier stellt der neue Entwurf einen Paradigmenwechsel dar. Beim heute noch gültigen System individueller Schutzanfragen durch Einzelpersonen stellen sich Fragen nach dem Schutzstatut eines Gebäudes und den daraus abzuleitenden Einschränkungen bzw. Rechten meist erst, wenn ein Gebäude den Besitzer wechselt. Die rechtliche und administrative Unsicherheit, die sich hier oft in akuter Dringlichkeit ergibt, mündet nicht selten in langwierigen Verzögerungen und kostspieligen Rechtstreitigkeiten.

  1. Mobiles Kulturerbe

Zu dieser Kategorie gehören sämtliche beweglichen Elemente des kulturellen Erbes, klassischerweise zum Beispiel Kunstwerke oder Münzen. Hier überholt und vervollständigt das Gesetzesprojekt einen lückenhaften und veralteten rechtlichen Rahmen. So wird ein Tauschregime für diese Art von Objekten eingeführt, aber auch die Sorgfaltspflicht der Besitzer bei der Konservierung rechtlich festgeschrieben. Mobiles Kulturerbe von nationaler Bedeutung wird unter besonders strengen Schutz gestellt, um einer Verlagerung ins Ausland entgegen zu wirken.

  1. Immaterielles Kulturerbe

Eine neue Kategorie im Gesetz ist das immaterielle Kulturerbe, dessen Schutz auch von der UNESCO gefördert wird. Es umfasst Traditionen und andere nicht-gegenständliche Spuren der Vergangenheit. In Luxemburg fallen zum Beispiel die Schueberfouer und die Echternacher Springprozession in diese Kategorie.

Denkmalschutz und Weiterentwicklung stehen nicht im Widerspruch

Die vier Teile des neuen Gesetzes verbindet eine kohärente, ganzheitliche Herangehensweise. Der Schutz unseres Kulturerbes erfolgt darin nicht aus antiquarischer Nostalgie. Es geht eben nicht um die Erhaltung jedes älteren Gebäudes oder um den Wunsch, das Rad der Zeit zum Stehen zu bringen. Vielmehr zielt der Kulturgutschutz auf den Erhalt und die Valorisierung unserer Vergangenheit für die heutige und zukünftige Generationen. So können unter Denkmalschutz stehende Bauten zum Beispiel unter gewissen Auflagen sehr wohl renoviert oder umgebaut werden – die Besitzer können dabei sogar finanziell und fachlich vom Kulturministerium unterstützt werden. Auch wenn in den letzten Jahren viele Bemühungen unternommen wurden, hat Luxemburg noch Aufholbedarf beim Schutz des Kulturerbes. Zehn Jahre nach dem Scheitern des letzten Reformversuchs zeugt der nunmehr fast am Ziel angekommene Anlauf von einer wohlüberlegten Abwägung zwischen dem Schutz unserer Vergangenheit und der nachhaltigen Weiterentwicklung unseres Landes.

Während des Gesetzgebungsprozesses haben sich kritische Stimmen vor allem auf die Vereinbarkeit des Kulturgutschutzes mit der Erschlieβung von neuem Wohnraum fokussiert. Luxemburg steht in der Wohnraumfrage zweifellos vor enormen Herausforderungen. Es ist jedoch ein Missverständnis, einen grundsätzlichen Widerspruch zwischen Denkmalschutz und dem Wohnungsbau zu verorten. Der Gesetzesentwurf zum Kulturerbe sieht transparente und nachvollziehbare Prozeduren vor. Diese sind zwar umfassend, zielen aber auf eine Verkürzung der Fristen für die überwiegende Mehrheit von Bauvorhaben ab, bei denen keine signifikanten Ausgrabungs- oder Schutzmaßnahmen nötig sind. Der Schutz erfolgt nun systematisch und nicht mehr, wie heute, nach Zufallsfunden oder aufgrund punktueller Anfragen Einzelner. So entsteht letztlich Planungssicherheit und Transparenz für alle Betroffenen.

Die Verantwortung für unser kulturelles Erbe endet nicht auf nationaler Ebene. Beim lokal bedeutsamen Kulturerbe behalten die Gemeinden ihre bestehenden Kompetenzen im Rahmen der Bebauungspläne. Der kommunale Schutz hat sich in der Vergangenheit oft als nicht ausreichend bzw. nicht dauerhaft genug herausgestellt  – vor allem dort, wo die bestehenden Möglichkeiten nicht konsequent genutzt wurden. Der Philosophiewechsel, der nun auf nationaler Ebene vollzogen wird, muss auch auf Gemeindeebene Unterstützung finden. Die in einigen Gemeinden anstehenden Erneuerungen der Bebauungspläne bieten hier eine wichtige Gelegenheit, um denkmalschützerische Akzente zu setzen. Dies nicht zuletzt, weil das im neuen Gesetz vorgesehene temporäre „Sicherheitsnetz“ auf dem kommunalen Schutz basiert. Dieses Netz soll historische Gebäude während der rund zehn Jahre dauernden Übergangsphase schützen, die für die vollständige Ausarbeitung der neuen wissenschaftlichen Inventare vorgesehen sind.

Auch wenn das neue Gesetz die Weichen stellt, kann es den Erhalt unseres Kulturerbes nicht alleine gewährleisten. Hierzu braucht es nämlich auf lange Sicht materielle und politische Unterstützung der zuständigen Behörden, sowie eine umfassende und konsequente Informatioun und Sensibilisierung der Bürgerinnen und Bürger.

Djuna Bernard & Ben Zenner

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